Review über das 2018 erschiene Album #ME von Superuse
Foto: Superuse
Warum werden Reviews eigentlich stets direkt nach Erscheinen oder direkt vor Erscheinen einer neuen Platte verfasst? Warum nicht mal altes Material unter die Lupe nehmen?

Das Album #ME von der Frankfurter Truppe Superuse ist am 2. Juli 2018 mit Unterstützung von Artistfy erschienen und ist damit ihre zweite Full-Length Veröffentlichung. Nach ihrem Debut-Album „No Red Line“ (2015) hat sich das Quartett zurückgezogen, um weiter einen roten Faden durch ihre Songs zu weben. Sie selbst beschreiben das folgendermaßen:

Die Titel beider Alben stehen für persönliche Freiheit, die Überwindung vermeintlicher gesellschaftlicher Konventionen und den puren Spaß daran, sich auf seine ganz eigene Art auszudrücken.“ Kurz und knackig durch die Hardfacts, denn worauf es wirklich ankommt, ist die Musik von Superuse’s #ME. Wir haben jeden Track durchleuchtet und teilen euch unsere Meinung:

1. Softly & Quietly

Softly & Quietly… hätte sich in dem Fall auch in „Lässig & Sahnig“ übersetzen lassen können. Vorm ersten Anschlag an drückt einen die Wärme von diesem Retrorock tief in den Sessel. Ohne es gekünstelt oder allzu beabsichtigt wirken zu lassen, schaffen es Superuse binnen Sekunden den Eindruck entstehen zu lassen, als wären wir ein paar Dekaden zurückkatapultiert worden und schrauben die alten Rockröhren auf Hochleistung. Und das nimmt man nicht nur ihrem Spiel sondern auch dem Gesang ab. Mit kleinen Extras, wie dem Keyboard in der zweiten Strophe reichern sie das Gesamtbild weiter an und füttern die Atmosphäre mit Facetten, die ein eigenständiges Retro-Klangbild entstehen lassen.

Ein cooler Opener, der den Weg für das Album ebnet, aber auch ohne größere Höhen und Tiefen vor sich hin läuft - zumindest bis zum Finale des Songs: Hier entsteht der Eindruck, sowohl in einer Piano-Bar als auch in einem abgerockten Club gleichzeitig zu sein. Hier wurde subtil Spannung aufgebaut und der Einstieg in die kommenden 44 Minuten geliefert.

2. Can’t You See

Mit einem energiegeladenen Synthesizer Intro und rhythmisch ansprechend artikulierten Strophe startet Can’t You See ohne Umwege direkt in einen konstanten Groove. Die ganze Machart des Songs erinnert doch eher stark an die 80er Jahre - allerdings ohne in Sachen Effekten zu aufdringlich zu sein. Sämtliche Sounds und Synthesizer tragen das Stück eher in seinen Details, als sich vordergründig zu präsentieren. Besonders gut gefällt mir hier das links-rechts-Wechselspiel der Rhythmusgitarren im Chorus. Der Gesang verhält sich in diesem Song ein wenig direkter und aggressiver, büßt aber aufgrund der Stimmfarbe wenig von der eingangs gezeigter Lässigkeit ein, selbst der Schrei gegen Ende des Songs fügt sich nahtlos in das Gebilde ein. Eine coole Rocknummer - allerdings hätten es im Chorus auch ein bisschen weniger Synthesizer getan um die kecke Seite des Quartetts ein wenig besser zu präsentieren…

3. Hypnotized

Wow. Es hat hier wohl keine 4 Sekunden gedauert, schon war ich am mitschnippsen und mein Kopf war nicht mehr still zu halten. Der simple Shuffle-Groove auf dem Hypnotized aufbaut wird dem Songnamen gerecht: Es hat was hypnotisierendes, sich von dem Groove treiben zu lassen und von dem detailreichen Arrangement berieseln zu lassen: Wechselspiele zwischen den Gitarren und kleine eingeworfene Synthsizerklänge - das alles über dem unermüdlichen Groove von Drums und Bass. Dieser Song wirkt einfach vollständig und rundet sich selbst durch den taktisch klugen Einsatz des Gesangs ab: Es gibt hier doch relativ lange Passagen, die ohne Gesang auskommen und das durchaus auch dürfen. So bleibt noch mehr Zeit sich in den Groove fallen zu lassen, bevor dieser Spaß dann doch relativ abrupt endet. Lässiger Song, der aufgrund seiner Länge quasi direkt zum noch-einmal-Hören einlädt.

4. Living In Stereo

Living in Stereo. …dieser Song erinnert fast schon ein wenig an eine Mischung aus Depeche Mode und den Pet Shop Boys. Trotz des sympathischen Duetts mit einer weiblichen Stimme - oder vielleicht genau deshalb - klingt der Gesang hier emotional sehr distanziert. Ähnlich wie Softly & Quietly bringt Living In Stereo eine gewisse Lässigkeit mit, die sich sehr unaufgeregt durch das gesamte Arrangement zieht. In der Mitte des Songs befindet sich ein ziemlich sphärischer Teil, der in seiner Umsetzung auch definitiv Teil der Serienmusik von etwas wie bspw. Suits hätte sein können. Das Outro lässt den Song fast komplett elektronisch ausklingen und erinnert auch hier wieder an Depeche Mode. So richtig glücklich klingt Living In Stereo zwar nicht, aber ich bin froh ihn in Stereo erlebt zu haben.

5. Eternally

Klasse! Dieser Song geht genau so los, wie ich es nach Living In Stereo gebraucht habe: Authentisch, geradeaus und nach vorn. Da ist er wieder, der Classic Rock Vibe. Der Unverkennbare Gitarrensound der von so vielen geliebt wurde, bevor die Modernen HiGain Amps den Rock neu definierten. Ich kann mich nur wiederholen: Lässig & Sahnig, sogar mit kleiner Orgel-Einlage! Nichtsdestotrotz fällt hier leider beim Gesang anhand der Aussprache am deutlichsten auf, dass es sich bei Superuse um Deutsche handelt - hier zählen wir aber schon Erbsen, denn die Gesangsperformance klingt hier merkwürdig ehrlich erschöpft: Nicht jeder Ton ist gut getroffen und genau das macht in diesem Fall den Charme von Eternally aus. Er klingt ehrlich, direkt und groovt echt gut die Ohren frei.

6. Superuse Me

Superuse Me - quasi also ein Doppeltiteltrack: Bandname und Albumname in einem Song. (Rrrreeeespekt.) Dieser Song steht nun einer harten Prüfung gegenüber, da ich grundsätzlich kein Freund davon bin, einen Song nach der Band zu benennen. Ich lausche also gespannt als mein Player auf Titel Nummer 6 Superuse Me springt: Ich werde von einem Synthsizer Intro begrüßt, was für einen Bruchteil einer Sekunde an „All The Things She Said“ von t.A.T.u. erinnert (…kennt noch jemand die beiden Damen mit ihrem Hit aus 2002?) jedoch mit Einsetzen der Band in eine fast schon spanisch-orientalisch angehauchte Klangwelt wandert. Der durchgehende Massive Groove von Drums und Bass erinnert hier stark an The Wall von den Rockgrößen Pink Floyd - klug eingesetzt oder Zufall? Wie auch immer dem sei gibt er dem Song ein stabiles Fundament bis er sich wieder in einem Raum aus Synthesizern und „Hoo“-Gesängen verliert. Für einen Doppeltiteltrack ist Superuse Me im Vergleich zu den anderen Songs des Albums und gemessen an der Musik, die sie machen ein wenig zu Leidenschaftslos. Hier finden sich zwar viele Details und Spielereien wieder, allerdings tritt das Frankfurter Quartett zu keinem Zeitpunkt so authentisch und direkt „in Erscheinung“ wie beispielsweise bei „Softly & Quietly“ oder „Eternally“…

7. Beyond Blue Skies

…hat mich da jemand beobachtet? Gerade war ich noch enttäuscht vom Fehlen der lässigen Authentizität und schon ist sie wieder zurück, bringt mich Beyond Blue Skies direkt auf die Dachterasse einer Szenebar und lässt mich den abendlichen Ausblick über die Stadt genießen. Dieser Song lässt mich an viele gute Abende denken, an denen ich beste Freunde für eine Nacht fand. Man lernt sich in ner Bar kennen, verbringt eine der verrücktesten Nächte seines Lebens miteinander und verabschiedet sich im Sonnenaufgang ohne Nummern zu tauschen oder den Nachnamen des anderen zu kennen. Good Times. Definitiv der Track des Albums, den ich in meine Playlists mit aufnehme aufgrund des emotionalen Wertes, den er bei mir schafft.

8. Get To

Mit einem entschlossenen, marschierenden Tempo wartet Get To auf und verbreitet mit dem Oktavengesang eine gewisse Spannung. Für Schwungvoll ist der Beat jedoch zu schwer, für stampfend zu leicht. Er ist energiegeladen und doch subtil - unterstützt durch kleine harmonische Modulationen in den PreChori.

Spannend ist hier der Teil, in dem ein Synthbass zunächst fast alleine steht, und mich darauf warten lässt, dass der Song in einen tanzbaren Michael Jackson-Part â la Smooth Criminal mündet - stattdessen bekomme ich den marschierenden Chorus noch einmal zum Abschied serviert. In sich ist Get To definitiv eines der stimmigsten Arrangements auf diesem Album.

9. Lonely Lonely People

Lonely Lonely People ist für meine Ohren das „handgemachte“ Gegenstück zu Living In Stereo - ähnlich distanziert mutet der Song insgesamt an, baut jedoch primär auf handgemachte Instrumente und ein wenig mehr Ausdruck im Gesang.

Im Call & Response spiel vom Gesang im Chorus spiegelt sich sehr gut ein kontrastreiches Spiel zwischen Depression und Resignation wieder. Es fühlt sich ein wenig leer an, auch während des Gitarrensolos. Ich würde hier jedoch behaupten, dass diese Wirkung von der Band beabsichtigt ist und vergebe hierfür gern ein Bierchen ins Klassenbuch, denn dieser Song hat mich emotional woanders abgestellt, wo er mich abgeholt hat.

10. Do It Again

Wow okay? Aufgrund des Namens hätte ich von diesem Song etwas anderes erwartet, bekomme ich hier wieder eine eine spanisch angehauchte Rockballade zu hören mit dem gewissen Touch Romantik aus den 80er Jahren - wo haben die Jungs diese Backgroundchöre her? (Wenn die eine Zeitmaschine haben, hätte ich sie gerne!) Was in diesem Song besonders gut gefällt:

Die geschmackvollen Einsätze der Bläser kombiniert mit dem hohen Gezupfe auf den E-Gitarren. Vom Vibe her könnte dies auch der Song sein, der auf einer Hochzeit gespielt wird, wo alle Gäste schon längst verschwunden sind, das frisch getraute Paar aber noch einen letzten Tanz wünscht. Ein cooles Bild in meinem Kopf - ob Superuse diesen Song wohl einmal zu einem derartigen Anlass spielen kann? Ich wünsche es Ihnen. Er versprüht eine gewisse angenehme Intimität.

11. One Day

One Day läutet druckvoll den Endspurt des Albums ein: Kurz vor Ende treten die Jungs nochmal richtig auf das Gaspedal und rocken frei nach dem Motto „Keep It Simple, Stupid“ mit One Day geradeaus und liefern damit den Soundtrack für einen endlosen Riadtrip über’s Land! - inklusive Nachtfahrt auf unbefestigten Straßen durch den Wald: Diese Harmoniespielchen und Polizeisirenen rund um das Gitarrensolo sind aufregend, machen Spaß und lassen diesen Song zu keinem Zeitpunkt sein Feuer verlieren - da geht mächtig die Post ab!

12. Place We Know

Wie schön. Mit der fast nackten Gitarre und Stimme am Anfang bildet sich schnell eine Lagerfeuerstimmung - passig zum Ende des Albums. Umso schöner, dass Superuse es auch nach Einsetzen der kompletten Band schaffen, genau diese Atmosphäre bei zu behalten: Es fühlt sich an, als würde ich in den Abend hineinlauschen - ob nach getaner Arbeit, nach einer durchzechten Nacht oder einer langen Reise zurück nach Hause. Hier bin ich nun wieder angekommen.

Bei meinem gemütlichen Sessel in meinem Wohnzimmer direkt vor meiner Anlage… Ich sitze da, tiefenentspannt und herrlich unaufgeregt. Dieser Song hat mich wirklich nach Hause gebracht.

Der Gesamteindruck:

Superuse verstehen es durchaus, bewusst an aktuellen Rock und Pop Trends vorbeizulaufen, denn bei ihnen wirkt es nicht wie gewollt und nicht gekonnt: Was ich hier gehört habe, klingt wie das ehrliche Ergebnis von dem Gedankenspiel „Nehmt mal die Instrumente in die Hand und spielt, was euch auf der Seele liegt“. Weder Spielstil noch Sound entsprechen den Standards.

Etwas, was ich lange nicht gehört habe. Kompositionen, die sich nicht den modernen Mustern unterwerfen und nach weniger als 30 Sekunden den ersten „Spotify-Refrain“ herausfeuern. Performances, die nicht quantisiert und bis auf den letzten Cent nachgetunt wurden. Ein Mix, der, statt das Gesamtbild aufzuräumen dem Klang einfach Wärme gibt und sich natürlich statt 100% transparent entfaltet. Und das alles ohne, dass es nicht zeitgemäß klingt: Mit #ME haben Superuse eine Klangwelt geschaffen, die offensichtlich nicht 2018 als Schauplatz hat, aber trotzdem in 2018 in vollen Zügen genossen werden kann.

Weitere Infos über die Band findet ihr auf Facebook oder auf Instagram


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